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Die Sau sagt Servus

Allgemeine Zeitung 25.2.2019

Von Michael Jacobs
MAINZ - Die Meenzer Drecksäck sind auf gutem Weg zum Weltkulturerbe. Per Cityseilbahn. Erstmals wurden die hart umkämpften Eintrittskarten mit einem strahlenförmigen Prüffeld versehen. Wenn etwas fälschungssicher gemacht werden muss, sollte man das Original schleunigst unter Schutz stellen. Die Anders-Fastnachter haben im 24. Jahr ihrer Spottfestspiele im „Haus der Jugend“ den Reifegrad der Post-Adoleszenz erreicht, die wie bei einer würzigen Fleischworscht schon vor dem Reinbeißen den Gaumen in Schwingungen versetzt. Und das, obwohl das Schlimmste zu befürchten war: Die unerlaubte Entfernung der Drecksau von der Truppe.
Film
Nach den Blockbustern der vergangenen Jahre mit einer Grimmepreis verdächtigen „Tatort“-Parodie und dem „House of Cards"-Serienknaller ist der Einspielfilm wieder mehr dem Gonsenheimer Genrekino verpflichtet, wenn auch den Beckerschen Drecksäck-Clan nicht weniger Existentielles umtreibt. Die Sau, über Jahre malträtiert und von tausenden Fingern begrapscht (Me Too!) ist getürmt und hat einen fatalen plüschrosa Leerstand hinterlassen, den weder ein hektisches „Deutschland sucht die Supersau"-Casting noch OB Michael Ebling in schicker Schwarte zu füllen vermag. Derweil die wanderlustige Wutz nicht vor einer In-speck-tor-Lehre bei Kommissar Girtler zurückschreckt und sogar in der Mett vorsingt. Sippen-Spross Peter Becker (Günter Beck) geht zum Äußersten: „Ich mach die Sau!" Tief berührt vom Nachbeben der kapitalen Bruchlandung kehrt das Vorzeigeschwein wieder zurück und ergibt sich in sein Schicksal als wolkige Wurfdiva.
Kokolores
Mit heiterem Alsterwasser gewaschen ist Drecksäck-Debütantin Christine Eckert, die als Hamburger Deern charmant gewitzt durch die Mainzer Babel-Biotope flaniert und nach Abklappern einschlägiger Dating-Portale auf Parship-Kurs in der Andau landet.
Markus Höffer-Mehlmer, Kölner Stimmungs-Sturmgeschütz, wirft sich zwar in die Klamauk-Klamotten der spanischen Multi-Migrationshintergrund-Lady Dolores, hat aber einen durchaus europafreundlichen Gag-Ansatz. Der reicht vom verschütteten Bouillon-Knochen des Heiligen Santiago auf dem Jakobsweg bis zu den unerschöpflichen Ressourcen des Humorstandorts Europa, aus dem dann auch fleißig geschürft wird: Was tut der Belgier bei einer Alkoholkontrolle? Er nimmt die Brille ab. Zwei Gläser weniger. Was ist ein Italiener mit den Händen in der Tasche? Stumm! Die Briten sollten sich den Brexit lieber noch mal überlegen.
Politik
Die sarkastisch scharfen Erweckungspredigten von Erzketzer Peter H. Eisenhut und seiner Ministrantinnenschar waren immer schon das Polithochamt der Sitzung. Auch diesmal kann kaum einer Absolution erhoffen. Weder die untergangsverliebte SPD noch der hirnlose Wahnsinnige in Washington oder die Mainzer Marktfrühstücksmassen, die eine Erweiterung des Gutenberg-Museums lieber wegsaufen: „Das Hirn sagt nein, die Leber doch. Schoppe in de Kopp“. Die Geißel sitzt, wo es richtig wehtut, immer hart an der Schmerzgrenze. Noch einmal der bitterböse Priester-Pädophilen-Song („Ich war 14 und er 68...“) und zu den „Toten Hosen“ die AfD-Attacke: „Es geht nie vorüber, das braune Fieber". Standing Ovations.
Ein Mainz-magisches Gesamtkunstwerk sind die Harry Potteriaden der Laienspielgruppe (Birgit Schütz, Angelika Spautz, Iris Antonietti, Jonas Bonn, Tomas Klein, Rahel Schmidt, Hermann Junglas, Monika Glaser, Johannes Rausch), flankiert von zauberischen Besenritten um die Domspitze und einem nahezu originalgetreuen SPD-Putschistentrio mit Andrea Nahles, Marianne Grosse und Alleinherrscher Michael Ebling, der als dunkler Lord den Bibelturm kurzerhand im Untergrund bauen lässt und kopfüber nach oben verklappt.
Zwischenspiele
Nie war ein Bürgermeister dem Rock-Olymp so nah. Selbst in Unterhosen. Günter Beck als Tollen-gehörntes Elvis-Double im Hüftwackel-Clinch mit Tochter Melia ist einer der Höhepunkte der Überleitungs-Sketche. Die humoristischen Mini-Szenen mit seiner kongenialen Partnerin Birgit Schütz sind eine Klasse für sich. Sei es als Harald Schmidt-Verschnitt mit einer Rotkäppchen-Playmobil-Mär über den unter die Wölfe gefallenen Wiesbadener Noch-OB Sven Gerich oder einfach nur dadaesk als Wassereimer-Träger: „Geschmolzener Schneemann“. Und wenn bei der Offenbarung des Mainz-Gefühls im Wertstoffhof ein Hase durchs Bild hoppelt, wirkt Becks „Hau bloß ab“-Furor gar nicht mal gespielt.
Musik
Für die nötigen Flugvibes der Sau sorgen gewohnt saitenstark die Rock-Veteranen der Hämmerle-Hausband um Bluesröhre Hans „Ernst" Becker, der selbst am Infusionsständer im OP-Kittel das Herz auf der Zunge trägt: „Stent by me“. Und auch der schwul-lesbische Chor der Uferlosen trifft bei seiner poetisch-ironischen Songreise durch den Mainzer Wohnungsmarkt-Dschungel zwischen Miethaien und Mackie Messer den Vielfalt-Ton.
Fazit
Nach fast einem Vierteljahrhundert bleiben die Drecksäck die Gärpilze im uniformen Fastnachts-Teig. Auch wenn sich über die Jahre einige Ecken und Kanten abgeschliffen haben, bürgt die Stammbesetzung um Taktgeber Günter Beck für nonkonformes Narrenspiel. Damit die Sau aber nicht wieder von der Fahne geht, sollte man dringend Fleischwurstringe auslegen, um zur alternativfastnachtlichen Arterhaltung den Nachwuchs zu ködern.

WER WAR NOCH DABEI?
Weather Girls: Karla Martin, Stefan Keller, Stephanie Oehler, Anke Eckhardt
Männertanzgruppe: Rainer Christ, Thomas Dang, Klaus Cartus, Wolfgang Gabler, Stephan Reitz, Choreographie Cornelia Röhrig

 

 


Meenzer Drecksäck  |  info@meenzer-drecksaeck.de