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Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3.3.03

 

Bauchtanz zum Narhallamarsch

Wenn die „Meenzer Drecksäck“ das Humorbataillon losschicken, sind die „Bösen auf Achse“

bie. MAINZ. Etwas kantig bewegen sich die Figuren in den blauen Einheitskitteln und den runden Strohhüten zur asiatisch klingenden Musik. „Heile, heile Gänsje“ klingt auf nordkoreanisch eben etwas anders als am Rhein. „Ja, das ist getanzte Lebensfreude“, begeistert sich Markus Höffer-Mehlmer über das steife Minimalballett, die „Roten Herolde von Pjönjang“. Das Mainzer Humorbataillon ist in Friedensmission ausgeschwärmt, damit sich die Katastrophe des Golfkriegs von 1991 nicht wiederholt. „Wir Narren wissen, was Krieg ist“, sagt der Bataillonskommandant mit betretener Miene. „Als damals die Kampagne ausgefallen ist, haben wir uns geschworen: Nie wieder Krieg.“ Deshalb klappern die „Bösen auf Achse“ jene Länder ab, die der amerikanische Präsident als Hort des Übels betrachtet. Ihre tour führt von Kuba (linksrheinisch) bis Nordkorea (rechtsrheinisch), das sie mit auf Reiskörnern geschriebenen Büttenreden infiltrieren.

Wenn das „Ayatollah-Tanzcorps von den Teheraner Schoppenstechern“ den Narhallamarsch als Begleitmusik für seinen Bauchtanz nimmt, das Humorbataillon eine Polonaise um die Zentralmoschee organisiert und sich über die „Uiuiuiuiui“-Rufe des Muezzins wundert, dann weiß der Sitzungsbesucher, daß er nicht bei einem sogenannten Mainzer Traditionsverein gelandet ist. Obwohl die „Meenzer Drecksäck“ in der übernächsten Kampagne zehn Jahre alt werden und, welch garstig Wort, Jubiläum feiern können.

Es bleibt nicht aus, daß sich auch bei „Alternativfastnachtern“ Traditionen einschleichen. Dazu gehört der Eröffnungsfilm über die Familie Becker, die diesmal mit Hamsterfellen und Butterfahrten zur Nonnenau das große Geld macht. Bis den Neureichen die Felle im Wortsinn davonschwimmen, weil das Fährschiff St. Nikolaus, das im wirklichen Leben des Sommers Mainzer Badegäste zum Freibad Maaraue auf die andere Rheinseite bringt, mit einem Eisberg kollidiert. Natürlich nicht, ohne daß Mutter Becker ( Angelika Spautz ) zuvor zur „Titanic“-Filmmelodie Arme und Nase in den Fahrtwind gereckt hätte.

Inhaltlich zeigen sich die „Drecksäck“ auf der Höhe der Zeit. Im „Haus der Jugend“ merkt man erst, welche Themen die vielbeschworene „politisch-literarische Fastnacht“ brachliegen läßt. Dieter Kramer etwa will sich als Mainzer Original von Professor Günter von Hagens (Markus Höffer-Mehlmer), dem Initiator der „Körperwelten“-Ausstellung für das Fastnachtsmuseum plastinieren lassen. „Eigentlich bin ich ja eher ein verschlossener Typ“, sagt Kramer. „Noch“, antwortet vieldeutig der Professor in blaugrauem Kittel und Hut. Undenkbar in Rheingoldhalle oder Kurfürstlichem Schloß auch, was der schwarzgewandete Peter Eisenhuth uns sein Nonnen- und Ministrantenchor von sich geben. Eisenhuth trägt die Weltpolitik zu Grabe, nimmt sich aber bevorzugt die Kirche vor. Beim Thema Pädophilie liegen für ihn Priestertracht und Niedertracht nah beieinander.

Der klassische Solovortrag ist bei den „Drecksäck“ selten. Günter Beck , der auch mit Birgit Schütz die Sitzung moderiert, bleibt als Marketingexperte für Butterfahrten neben Nedim Tuyun und seinen multikulturellen Erlebnissen die Ausnahme. Besonders gut kommt beim Publikum der Krimi an, bei dem Barbara Lampe als Kommissarin in einem dubiosen Mordfall ermittelt. An Fastnachtsfreitag wird ein Toter vor dem Schloß gefunden – eindeutig ein „Eiskalter Bruder“. Entgegen ersten Vermutungen handelt es sich nicht um einen Wiesbadener, den es nach Mainz verschlagen hat („Das wäre ein Motiv“), sondern um einen Sitzungspräsidenten aus Köln. Dieser hatte die Geheimnisse der politisch-literarischen Fastnacht erkunden wollen, ist aber den Spätfolgen des „Powerschunkelns“ erlegen.

Über der großen vergessen die „Drecksäck“ die kleine Politik vor der eigenen Haustür nicht. Schließlich sitzt ein Teil von ihnen selbst im Stadtrat. So trauern die „Mixed Pickels“ als „Sondermülleinsatzkommando“ dem einzigen grünen Dezernenten Hans-Jörg von Berlepsch nach. „Schön sind Argumente, doch schöner ist es Dezernent zu sein“, singen sie den Sozialdemokraten ins Stammbuch. Bei aller Abgrenzung – noch nicht einmal „Helau“ wird bei den „Drecksäck“ gerufen – lebt die „Alternativfastnacht“ auch vom klassischen Vorbild, das sich ironisieren läßt. Es ist ja gar nicht böse gemeint, wenn Beck mit umgeschnallten Kissen als Parodie eines bekannten Zugmarschalls bei „Wer wird Millionär?“ das fehlende Geld für den Rosenmontagszug gewinnen will. Und der Auftritt des schwul-lesbischen Chors „Die Uferlosen“ vor der Pause, der diesmal ins „Rosa Rössl“ einlädt, ist nicht umsonst dort plaziert, wo andernorts die „Mainzer Hofsänger“ auftreten. In einem Punkt konnten die „Drecksäck“ allerdings keine Alternative zur diesjährigen Fernsehsitzung „Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht“ bieten. Ein Protokoll gab es auch im Haus der Jugend nicht.


Meenzer Drecksäck  |  info@meenzer-drecksaeck.de